Saskia Bladt, Zur musikalischen Arbeit

Geh-Danken zu meiner musikalischen Arbeit in TemPest

 

Durch eine intensive und langwierige Diskussionskultur, geprägt von Menschen unterschiedlichster künstlerischer Erfahrung und Ausrichtung, hat sich TemPest für mich zu einem immer spannenderen Projekt entwickelt; zu einem Forschungsprojekt, in dem das Sich-aufeinander-einlassen, den anderen zu verstehen, ihm zu vertrauen, den ganzen unberechenbaren, da bisher unerprobten, Ergebnis-Zellen zu vertrauen, eine große Rolle spielt. Hier werden die Generationsunterschiede unwichtig – es geht um das gemeinsame (Zwischen-) Ergebnis.

Auf dieser Basis hat sich mein Beitrag zu einer Mischung aus „Schauspielmusik“ und „Komposition“ entwickelt, einer Gratwanderung zwischen den „Mächten“ der Sprache und der Musik. Besonders spannend ist für mich die Rolle der Miranda, die durch Musik zum selbst gesprochenen Wort findet und aus ihm wiederum zu einer völlig neuen musikalischen Sprache / sprachlichen Musik. Zu Beginn beherrscht Miranda perfekt die Musik Lockes, die musikalische Sprache des Vaters Prospero, sowie den Urklang der Insel, auf der sie aufgewachsen ist.

Diese Beherrschung führt zu einer Neu-Öffnung: Mit „the silver swan“ nimmt sie erstmals eine alte Musik in sich auf, nicht um sie, wie sonst, zu reproduzieren, sondern um eine erste Vorahnung einer eigenen Welt / Sprache zu spüren. Sie findet zu gesprochenen Worten, mit denen sie beginnt, die Ereignisse und das Gesagte des Vaters fragend zu reflektieren. Das erste Zusammentreffen mit Ferdinand fördert diese gerade begonnene Entwicklung – die Liebe auf den ersten Blick sprengt erneut die „alte Musik“ der väterlichen Sprache. Aus dem Lockeschen Maskenspiel der Teufel erwächst ein Liebesklang.

Miranda, die die hochkonzentrierte und reduzierte Sprachform des Vaters gewöhnt ist, übernimmt nicht nur diese, sondern hebt sie auf eine neue Ebene der Emotion. Sie spricht immer mehr, in der essentiellen Manier des Vaters, doch sie verbindet diese mit der Musik, die Sprache, die sie zuerst beherrschte. Musik, die universelle Sprache der Liebe und Emotionen, wird hier zum Mit-Träger des Ausdrucksvermögens. Wir sehen am Ende des Abends eine jung-Frau, die ihren Vater mit einer Weiterentwicklung seiner selbst konfrontiert; die intuitiv, noch nicht letztlich ausgeformt, erste Geh-Versuche in eine neue, aktuelle Welt macht und so ihre eigene Zeit überholt. So hören wir in der letzten Miranda-Komposition ihren Versuch, den strengen, vom Vater ausgelösten Lockeschen Doppelkanon ins heute zu übersetzen, indem der Ton zum Element wird und die Trennung von Sprache und Musik zum Kanon wird. Das heißt, daß sich der von Gian Gianotti komponierte Sprachkanon mit vier Orchestergruppen verbindet und sich aus dem gesprochenen Kanon ein Doppelkanon bildet, in dem die Sprache zur Musik wird und die Musik versucht, die Sprache in sich aufzunehmen.

Anknüpfend an Matthias Gedanken zur Inselmusik, möchte ich den Klang der Insel gerne noch in Beziehung zu Prosperos und Mirandas Besiedelung der Insel setzen.

Der ur-eigenste Inselklang besteht aus „rohen“ Klängen, die zum größten Teil auf unseren „zivilisierten“ Instrumenten erklingen, doch diese künstliche Natürlichkeit wird spätestens mit der Entwicklung der Klänge deutlich. Mit Prosperos Ankunft auf der Insel legt sich seine Macht, die  Kraft seiner Magie, in Form einer Chaconne über die Insel. Die „rohen“ Klänge formen sich rhythmisch, zuweilen auch harmonisch,  je nach Stärke der Zauberkraft, zur Chaconne. Purcells Chaconne aus King Arthur ist hier zum Gradmesser der Magie geworden. Verschiedene Analysen der Dichte und der Harmonik haben ein System ergeben, das die Nähe-Ferne zu Prospero anzeigt. Spannend zu verfolgen ist die Chaconne im Laufe des Abends, die unablässig weitergeht, sich vom Vordergrund in den Hintergrund, von der akustischen Ebene in eine visuelle bewegt. Komposition wird zur Improvisation, die sich in physischer Bewegung fortsetzt.

Mit der sich herauskristallisierenden Eigenständigkeit Mirandas und der Ankunft von Prosperos Zauberbuch in der sicheren Weite läßt Prospero Ariel / CaliPan und also auch die Insel frei. Er erlöst sie von dem Zauber, und wir hören weiter die Klänge der Unendlichkeit, von denen keiner der erste noch der letzte sein will.

 

Saskia Bladt, April 2010

.

.

.

.

Zurück zur Hauptseite
>>>     TemPest