Calderon, DAS GROSSE WELTTHEATER

1988     S / D

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Pedro Calderón de la Barca: Das Grosse Welttheater
In der Übersetzung von Hans Urs von Balthasar

Eingerichtet von Toni J. Krein und Gian Gianotti

 

 

Stadttheater Luzern, Direktion Horst Statkus
Premiere: 18. März 1988, im Rahmen der Osterfestspiele der IMF 1988

 

Inszenierung – Gian Gianotti
Bühnenbild und Kostüme – Paolo Bernardi
Bühnenmusik – Hanspeter Dommann
Dramaturgie – Toni J. Krein
Regieassistenz – Richard Wehrli

Rechte: Reiss AG, Theaterverlag Zürich

 

Schauspieler:

Der Meister – Erwin Geisler
Die Welt – Anna-Maria Eckhoff
Der König – Oliver Siebert
Der Bauer – Wolfgang Bäuschel
Die Weise Frau – Michaela Leutzendorff
Die Schöne Frau – Isabella Archan
Der Reiche Mann – Gregor Vogel
Der Arme Mann – Martin Tessen
Das Kind – Sabrina Allgäuer

 

 

 

 

Das Bühnenmodell von Paolo Bernardi

   

 

Osterfestspiele Luzern                                                                  Luzerner Tagblatt, Montag 21. März 1988

Figurenspiel und Geistdrama
Eigenwillige Inszenierung von Calderòns “Welttheater” im Stadttheater Luzern

LUZERN – Als eigenwillige Verbindung von barockem Glockenturm-Figurenspiel und modernem Geistdrama interpretiert Regisseur Gian Gianotti am Stadttheater Luzern Calderòns “Das grosse Welttheater” in der deutschen Übersetzung von Hans Urs von Balthasar. Antriebskraft der Inszenierung ist nicht das Vertrauen in die Gnade der göttlichen Allmacht und das ewige Leben im Jenseits, sondern die Frage nach der Qualität und den Entstehungsformen des Lebens im Diesseits.

Von Hugo Bischof

Wer hierzulande “Welttheater” hört, denkt zunächst an Einsiedeln. Dort wird das 1645 uraufgeführte Fronleichnamsspiel des spanischen Jesuiten Pedro Calderòn de la Barca (1600-1681) seit 1924 in regelmässigen Abständen mit einem Grossaufgebot an Laienschauspielern aufgeführt – als farbenprächtiges Freilichtspektakel auf dem grossen Platz vor der Klosterkirche. Dass das Stück auch als Kammerspiel im intimen Rahmen eines geschlossenen Theaterraumes zum Nachdenken anregen kann, zeigt Gian Gianottis Inszenierung im Stadttheater Luzern eindrücklich.

An der sehr gut besuchten Premiere vom Freitag herrschte während der knapp zweistündigen Aufführung, die ohne Pause durchgespielt wurde, jedenfalls gespannte Ruhe.

Paolo Bernardi – er arbeitete schon bei der letztjährigen “Iphigenie”-Inszenierung am Stadttheater Luzern mit Gian Gianotti zusammen – hat ein schlichtes, aber ungemein aussagekräftiges Bühnenbild geschaffen. Vor einem endlos dunkelblauen Hintergrund hebt sich auf der Bühne eine riesige schwarze Schachtel ab: Sinnbild für die Keimzelle des Lebens mitten im Chaos des Weltalls. Die Schachtel öffnet sich zu Beginn des Spiels nach allen Seiten hin. Die innen mit grauen Tüchern verhangenen Wände verschieben sich nach aussen und nach oben – langsam und im schrägen Winkel: eine bewundernswerte Massarbeit der hinter der Bühne mit Seilwinden arbeitenden Technikercrew! Der Kistenboden, mit grauen Decken und Kissen gepolstert, dient den körperlosen, aus dem Chaos auftauchenden Wesen für kurze Zeit als Tummelplatz ihrer menschlichen Wünsche und Begierden. Am Schluss des Spiels schliesst sich die Schachtel wieder, und die verstorbenen Wesen kehren ins Chaos zurück.

Ungewohnte Interpretation

In diesem düsteren Rahmen lässt Regisseur Gianotti sein bedenkenswertes Spiel um Sein oder Nichtsein ablaufen. Eine grossartige Anna-Maria Eckhoff verleiht der Figur der Welt trotzige Widerspenstigkeit und leisen Spott. Zwischen ihren grossen Auftritten zu Beginn und am Schluss (“Am längsten dauert positives Streben”) sitzt sie am Bühnenrand und beobachtet das hektische, aber letztlich sinnlose Treiben auf der Weltbühne mit Gelassenheit und unverhohlener Ironie.

Erwin Geislers Darstellung der Figur des Meisters zeigt die Stossrichtung dieser ungewohnten “Welttheater”-Interpretation am deutlichsten auf. An ihr werden sich die auf katholische Authentizität beharrenden Exegeten wohl am meisten stossen. Was bei Calderòn noch drei Personen sind – Meister, Gesetz der Gnade, Stimme –, verschmilzt bei Gianotti zur einzigen Figur des Meisters. Und dieser Meister ist im gleichen einheitlich grauen Strassenanzug gekleidet und entstammt dem gleichen Chaos wie jene körperlosen Wesen, denen er ihre Rollen zuweist. Gott, als eine von mehreren möglichen Rollen, die der Mensch ausprobieren darf? Erwin Geisler agiert ganz in diesem Sinne nicht “ex cathedra” – obwohl er sein “Tut Gutes, denn Gott ist Gott!” aus dem unsichtbaren Theater-Rückraum zu sprechen hat, sondern mit einem gehörigen Mass an schauspielerischer Selbstironie.

Schauspielern tun sie alle, bis zum – entweder gefürchteten oder herbeigesehnten – Tode: Oliver Siebert als golfstabschwingender König (“Wie schnell des Lebens Blume bricht!”), Gregor Vogel als Reicher Mann mit Sonnenbrille und Sofortbild-Kamera (“Nie kehrt mein Reichtum wieder.”), Isabella Archan als tandbehängte Schöne Frau, Wolfgang Beuschel als peitschenschwingender Bauer, Michaela Leutzendorff als sich selbst kasteiende Weise Frau (“In des Grabes Frieden sind wir nicht mehr unterschieden.”), Sabrina Allgäuer als vom Spiel fast gänzlich ausgeschlossenes Ungeborenes Kind und Martin Tessen als wütender Armer Mann (“Ich hab’ einen Grund, die Welt zu verlassen, ohne aber den Tod zu hassen.”). In ihrem Spiel gelingen ihnen zuweilen Tableaux von einzigartiger Schönheit, die in ihrer Präzision und Roboterhaftigkeit an barocke Glockenturm-Figurenspiele erinnern.

Wiege und Grab eins

Der christliche Gedanke der Prädestination und die Frage nach Strafe oder Belohnung des Menschen für sein irdisches Tun, eigentliche Kernpunkte der Calderònschen Allegorie, werden von Gianotti in den Hintergrund gedrängt. In seiner Interpretation sind Wiege und Grab eins. Am Schluss wartet weder Himmel noch Hölle auf die armen Sünder, sondern nur das Chaos, aus dem sie schon geboren wurden. Als der Meister die reuigen Schauspieler zum Mahle bittet, sinkt von der Decke herab langsam eine verbogene, um die eigene Achse rotierende Metalltischplatte, die das Scheinwerferlicht der Bühne auf das geblendete Publikum reflektiert. Die Musik – Hanspeter Dommann hat grossartig dichte elektronische Klangmuster geschaffen – crescendiert zu einem klirrenden, schmerzhaft-schönen Getöse. Die Welt ist aus den Fugen.

 

 

 

 

 

Das Programmheft:
>>>   Calderon, Das Grosse Welttheater     pdf, 8 Seiten

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Pressestimmen:

>>>  Dem Jesuiten Calderón die Lanze stumpfen …  Tagblatt, Hugo Bischoff  17.3.88
>>>  Figurenspiel und Geistdrama  Tagblatt, Hugo Bischoff  21.3.88
>>>  “Gegen Cäsarentum und all dem Tand”  Bündner Zeitung, Marco Guetg  21.3.88
>>>  Gianotti-Inszenierung in Luzern mit kompaktem Spiel zum Erfolg  Bündner Tagblatt, Pirmin Schillinger  21.3.88
>>>  Kleingeratenes Grosses Welttheater  Basler Zeitung, Reinhardt Stumm  21.3.88
>>>  Auftakt mit Calderón  NZZ, fsb.  21.3.88
>>>  Radikale Weiterentwicklung in die Moderne  LNN, Pia Reinacher  21.3.88
>>>  Calderóns “Welttheater” als Kammerspiel  Tagblatt, Fritz Schaub  21.3.88
>>>  Eigenwilliger Blick auf Calderón  Vaterland, Niklaus Oberholzer  21.3.88

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