Das Gespräch zum Projekt LE NOZZE DI FIGARO

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Das Gespräch zum Projekt, mit Iwan Iwanov

Zum dritten Mal stellt sich Gian Gianotti mit einer Inszenierung in Bulgarien vor: Le nozze di Figaro hat am 8. Oktober in Rousse Premiere.

 

Iwan Iwanov: Guten Tag Herr Gianotti, schön Sie wieder in Bulgarien zu treffen, man kennt Sie mittlerweile, man ist neugierig und reist nach Rousse, um Ihre Premiere zu erleben. Ist das ein gutes Gefühl für Sie?
Gian Gianotti: Ich denke Sie übertreiben.

Ich komme, andere kommen, die Fachwelt der bulgarischen Oper ist auf Ihren Figaro gespannt …
Das freut mich natürlich.

Nach Rossinis Italiana in Sophia, Don Pasquale hier in Rousse nun Mozart – war das Ihr Ziel?
Sie meinen, dass es danach nicht mehr weitergeht?

Ich frage, ob Sie das von Anfang an angestrebt haben …
Mozart kann man nicht anstreben. Mozart kommt als Geschenk und fasziniert mit jeder Äusserung, in jeder Dimension.

Hat Sie Mozart also gerufen?
Seit Jahren. Seit den Proben lässt er keinen weiteren Gedanken zu. Er überzeugt und ist dominant. Er verlangt absolute Unterwerfung.

Und Sie können das ertragen?
Im Beaumarchais sagt Antonio zum Grafen: “… wenn Sie da nicht genügend haben (Grips), um einen guten Diener zu behalten, so bin ich nicht so blöd, einen so guten Herrn zu entlassen” (2.21.). Man begibt sich in die Pflicht, und hat dann keine andere Wahl.

Sie wollten sonst immer wählen, ist das anders jetzt?
Ich wollte schon immer die Wahl, die mich wählt – so wie “… ich begehre Dein Begehren”, anders ist keine reale Wahl möglich.

Figaro hat Sie also verpflichtet.
Eher die ganze Konstellation, Figaro, Susanna, der Graf und die Gräfin, Marcellina, Cherubino … und ja alle, auch Antonio, der Chor, Nayden Todorov …

… und mit welchen Mitteln?
Mit den Mitteln der Arbeit, mit der Möglichkeit, ein Stück aufführungsorientiert anzugehen und es umzusetzen. Mit der Einladung, eines der besten Stücke der Musikliteratur mit einem Ensemble zu realisieren, das vor allem mit mir arbeiten will. Aus Erfahrung und aus Wunsch, und wenn man darauf eingeht dann hat man diesbezüglich nichts mehr zu entscheiden. Der Tag der Prüfung kommt dann von selber, wie im Stück, jeder prüft jeden, und jeder wird in die Mangel gesogen bevor er es überhaupt merkt.

Und wer gewinnt?
Der Spieler, die Zukunft, Mozart natürlich und vielleicht wir, wenn wir mit ihm spielen können – jedenfalls nur mit ihm.

Was heisst das?
Absolute Treue, fanatische Akzeptanz, umfassende Dienstbereitschaft. Bescheidene und ziemlich selbstlose Suche nach dem Detail im Haufen.

Und Sie werden es trotzdem anders machen
Nein, nie doch. Nur so wie es da steht. Ich lese nur das Buch, das mich liest und dann erzähle ich was das aus mir macht.

Macht Sie das glücklich?
Ich habe keine andere Wahl nötig … und dem kann man wohl Glück sagen.

Erzählen Sie uns davon …
Die erste und einzige Liebeserklärung von Figaro an Susanna passiert im 4. Akt, und er heiratet sie an dem Tag – oder hat sie dann bereits geheiratet (jetzt mal vom normalen Ablauf her). Der Graf muss erblinden um zu sehen, Susanna muss verzweifeln und um sich schlagen, um ihr Glück zu erreichen, Figaro muss an seiner Lebenssicherheit scheitern um die geliebte Stimme zu hören, Rosina muss Cherubino lieben und daran verzweifeln um den Grafen erst zurück zu gewinnen. Das “Kind” Cherubino wird sterben müssen, um der Kindheit eine Existenz zu geben, Marcellina muss ihren Wunschgatten verlieren um wieder Mutter zu werden. Jeder, jede wird geprüft von Beaumarchais, dem Meister der Intrige, von Da Ponte dem Meister der Reduktion, von Mozart, dem Meister der musikalischen Sprache, ohne die Messlatte der Realisierung der Musik auch nur zu erwähnen. Und da, also nach alledem, fängt die eigentliche Prüfung erst an.

Arbeit macht also frei – ?
Identität macht frei, auch Identität mit der Arbeit. Identität mit dem Lebenszweck.

… immer?
…, … ich glaube ja … sehr wahrscheinlich. Ich glaube an das Gute im Menschen, absolut. Ich hoffe, wünsche es, will es, … ich muss es hoffen, wünschen, wollen um überhaupt sein zu können … und dann macht das frei.

Sind Sie religiös?
Wenn das hierher gehört und so allgemein gefragt, dann ja, nach Einsteins “kosmischem Glauben”. Zuerst musste ich aber die kirchliche Religion verlassen. Ich wurde in der christlichen Kultur zur Selbstverantwortung erzogen, mit evangelisch-kirchlicher Bindung, ziemlich komplex – diese musste ich dann irgendwann mal aufgeben um selbst verantwortlich werden zu können.

Und die Arbeit ist an die Stelle der Kirche getreten.
Wenn das wiederum hierher gehört ja. Die künstlerische Arbeit transzendiert die Existenz, und das in einer ähnlichen Dimension wie die Religion das Leben. Vielleicht ist dieser Sachzwang die notwendige Arbeit an der eigenen Existenz – um die eigene Position in der Existenz zu finden.

Sie wühlen ganz schön auf!
Sie haben gesagt, dass ich es sicher wieder ganz anders machen werde. Womöglich kann man das als Aufwühlen empfinden. Ich empfinde es als Hinterfragung, um die Ordnung, die Harmonie zu finden.

Mozarts Harmonie hat Sie also gerufen.
Mozarts Grösse ist die kosmische Ordnung, und der Kosmos ist im Prinzip das Chaos (der Vater von Chronos, der Zeit): der Frieden, die Harmonie darin ist nur eine sehr enge Momentaufnahme. Im Aufwirbeln der Wogen der Existenz erreicht Mozart die Offenheit und die Notwendigkeit für den nächsten Schritt.

Don Giovanni?
(schmunzelt) ja ja, Don Giovanni …

Wird das Ihre nächste Inszenierung sein?
… noch lange nicht, ich weiss es nicht, daran denke ich jetzt nicht. Nein, es ist ein Spiel mit der Zukunft Mozarts, das wir hier im Figaro anstellen: ein Spiel mit den höchsten Dingen, mit der Herausforderung des Lebens an sich. Ein Spiel mit dem eigenen Tod.

Denken Sie daran?
An den Tod? Im Glück denkt man doch immer daran.

Man?
Ja … im Glück ja.

Wie soll ich das verstehen?
Im Glück will man doch, dass das Glück bestehen bleibt … und das ist doch der Tod, das Leben ist die Aktion, das Suchen, das Streben.

Ich höre Faust
Ich höre Don Giovanni, und weiss, dass das Spiel mit Gott der höchste Tanz sein wird.

Nun nun, verweile doch …
… das wäre die absolute Reduktion, das Ziel eines aktiven Lebens, wenn Sie es so wollen.

Aber jetzt doch noch zu Figaro, zu den Musikern, zu den Figuren
Mit Nayden Todorov haben wir uns für den Figaro entschieden weil er uns von der Beziehungsstruktur her optimal als Zielprojekt für dieses Haus erschien, und das ist bereits jetzt komplett aufgegangen: ein junges Ensemble, das reif spielen kann, mit der Schnelligkeit der Buffa aber doch auch mit der Ernsthaftigkeit des Lebens. Wir sind auf Beaumarchais zurückgegangen und haben die Figuren nach dem Barbiere definiert: und die damalige Hochzeit von Almaviva mit Rosina, sie war damals noch minderjährig, liegt nur knappe zwei Jahre zurück, Rosina und Susanna sind also gleichaltrig und in der gleichen Stimmlage, der Chor wird bei uns aus lauter Heiratswilligen gebildet …, in drei Jahren werden sich hier zwei Dutzend Kinder herumtummeln, in fünf Jahren wird man eine Schule aufmachen müssen. Das Zimmer vom ersten Akt, zwischen den Zimmern des Grafen und der Gräfin ist eigentlich das Kinderzimmer, das Spielzimmer, eine Abstellkammer, ein Durchgangszimmer – das ganze Schloss ist eine Sommerresidenz drei Meilen von der Stadt entfernt, und wir machen einen grossen Wintergarten daraus, usw. dieses junge Ensemble hat Nayden Todorov im Haus – die jungen Künstler aus Bulgarien reissen sich, nach Rousse zu kommen, weil sie wissen, dass hier mit ihnen in der Richtung des Musiktheaters gearbeitet wird. Für Bulgarien eine neue Dimension.

Zum Orchester: aus den zwei Orchestern, die Nayden hier leitet (jenes der Oper und jenes der Philharmonie), konnte er sehr gut aus 180 Musikern jene knapp vierzig zusammenstellen, die für Mozart wirklich gut sind, Donizetti war dafür eigentlich eine Vorarbeit …

Vor drei Jahren sprachen Sie von der absoluten Qualität Rossinis, dann haben Sie den Flirt mit Donizetti präsentiert (also die Vorarbeit wie Sie sagen) und jetzt machen Sie Mozart
Rossini ist nach wie vor perfekt, Donizetti ein Spiel, Mozart ist genial.

Das sagen schon ziemlich alle
Ich habe es gehört, gesagt, wiederholt, vielleicht auch nachgeplappert … jetzt habe ich es im Innersten erlebt.

Macht sich das irgendwo fest?
Meinen Sie in einer Figur? Dann vielleicht in Cherubino. Wenn Sie es in einer Stimmung festmachen wollen dann vielleicht in der Arie der Susanna “Deh vieni non tardar, oh gioia bella”. Wenn Sie es in der Qualität meinen dann vielleicht im Tod nach dem Requiem und in jeder Provokation von Mozart.

Provoziert er uns oft?
Immer und überall. Wir müssen nur fähig sein, jeden Gedanken in der Dimension der Provokation zu verstehen. Der allerliebste musikalische Augenaufschlag ist bei Mozart von der Verzweiflung besetzt, der tiefste Abgrund ist voller Hoffnung. Und Cherubino hat diese Dimension in sich: Er spielt in der und mit der tiefsten Ernsthaftigkeit des Lebens. Er spielt um sein Leben.

Sie haben ihn also sicher männlich besetzt.
Ja, aber in einem Frauenkörper. In einer Frauenstimme – la voce che adoro … wie es Mozart haben will.

Als Page, als Soldat, als Offizier
Als Spieler – und spätestens seit Abu Ghraib wissen wir wie radikal auch Frauen mit dem Leben spielen können, auch gegen sich. Da stehen sie ihren männlichen Kollegen in nichts nach. Cherubino wird in der Erziehung erwachsen und bleibt bis zum Schluss doch Kind. Darin macht sich die Dimension von Mozart fest – das macht doch wieder klar, dass sein Vater (also Leopold Mozart) ihn hier nicht verstehen konnte – wie der Graf Cherubino auch nicht im Haus und in seinem Leben akzeptieren kann. In der Begründung argumentiert er erotisch egomanisch, aber in Wirklichkeit will er die verunsichernde Spielfreude weghaben, er entscheidet sich für den militärischen Machtkampf und schickt “das Kind” in den Krieg, und natürlich in den Tod. Das ist eine grosse Aussage … und das Schloss (die Gesellschaft?) hat keine Kinder mehr – die Jugend im Schloss (in der engeren Gesellschaft) hat seit Jahren nicht mehr geheiratet, das Feudalrecht musste gekippt werden … die Arroganz und Selbstherrlichkeit der Macht musste ihre Konsequenzen ziehen. Das passiert nicht aus Nächstenliebe.

Revolutionsoper?
Mit dem Lächeln des Spiels der Geschlechter: für die Freiheit, für das Spiel des Lebens, für die Zukunft.

Und sonst haben Sie keine Anpassungen gemacht, Striche?
Nein, wir spielen die Oper integral, mit allen möglichen Arien der Uraufführung vom 1786, also nicht mit den Nacharien für die zweite Wiener Fassung von 1789.

Umstellungen?
Wir sind auf die Szenenfolge Mozarts zurückgegangen und spielen nicht die etwas in Mode gekommene Umstellung im dritten Akt.

Und im Spiel?
Aber ja doch, dafür habe ich die Buffa zu genau und ernsthaft gelesen, Da Ponte und vor allem Beaumarchais – da musste ich eine kleine Verschiebung vornehmen: Der Graf hat die erste Liebe für Rosina … wie soll ich sagen? “überwunden?” gelebt oder durchgeturnt, was man will, jetzt ist sie ihm überdrüssig geworden, sie sei zu korrekt sagt er, zu voreilig zuvorkommend, sie sei zu unterwürfig wohlgefällig. Er will spielen können, verführen, begehren, begehrt sein – da ist er wie Cherubino. Sie liebt ihn nach wie vor, oder möchte die Position nicht verlieren – zweierlei im Gefühl aber einerlei in den Folgen. Dafür möchte er eine Romanze mit Susanna haben, und da ist er sogar bereit, auf den grossmütigen Verzicht auf die erste Nacht zurückzukommen. Ich glaube, dass Susanna diesen Liebesdienst nicht leisten möchte und habe die Inszenierung darauf ausgelegt. Das heisst nicht, dass sie sich nicht gerne begehren lässt. Aber wenn es Ernst wird, im Moment der Verabredung für das nächtliche Stelldichein, lasse ich die zwei Frauen in die “Haut” der jeweils anderen steigen, um als Rosina (in der Person von Susanna) vom Grafen geliebt und als Susanna (in jener Rosinas) davor verschont zu werden. So wechseln sie die Kleider und “spielen” die Rolle der jeweils anderen weiter und können ihre Liebhaber wiederum testen – beide fallen darauf ein, der Graf und Figaro. Unsere Kostümierung kommt dieser Spielklarheit sehr entgegen. Dieser Kunstgriff musste dann am Schluss auch wieder aufgelöst werden, und so gehe ich einen Schritt weiter in die Zukunft und lasse Cherubino als Mozart, auf einer kurzen Einspielung aus dem Don Giovanni (die nächste Oper Mozarts, der nächste Schritt!), Susanna wiederum ihren Schleier bringen. So ist die Welt wieder in Ordnung, Rosina wird ganz legitim vom Grafen schwanger und Susanna geht jungfräulich in die Ehe mit Figaro. So will es die Vorlage aber bisher hat man immer die Buffa als Berechtigung für jeden Seitensprung oder für jede Untreue verwendet. Mir ist die Buffa dafür zu ernst und zu schade.

Und die Liebe Cherubinos für die Gräfin, für Susanna, für alle Frauen?
Jene für die Gräfin dauert noch länger, und wird ihr dann in zwei Jahren ein Kind und ihm den Tod bescheren, die anderen sind eher Spielereien – und damit sind wir wiederum bei Don Giovanni und haben noch einige Liebschaften vor, mindestens “mille e tre”, und das nur in Spanien …

Und niemand ist traurig?
Das wäre zu einfach und wiederum wäre das für Mozart zu platt … Barbarina trauert einem Verlust (und Gewinn?) nach und sucht die verlorene Nadel im Park. Das ist Arbeit genug für ein ganzes Leben. Jeder trauert auch im höchsten Glück dem Leben nach, wie im richtigen Leben. In der Freude liegt ein Schatten, der die Freude erst vollkommen macht, das Bewusstsein um den möglichen Schatten definiert erst die Freude.

Wie gehen Sie mit den Umbauten um, mit den Pausen?
Es sind vier Bilder und nur eine Pause nach dem zweiten. Also musste der Übergang von 1 zu 2 und von 3 zu 4 gefunden werden, um der hohen Messlatte des “tempo della musica” gerecht zu werden. Da bin ich nach dem Tempo der Partitur vorgegangen, wie bereits bei der Italiana und bei Don Pasquale, und habe mir wieder einen Abend ohne Umbauverzögerungen zum Ziel gesetzt: die Szenen werden vor dem Vorhang weitergespielt und -entwickelt und beim szenischen Bedürfnis wieder auf die Bühne genommen. Und so verzichte ich konsequenterweise auch auf eine Inszenierung der Ouvertüre. Das Spiel dort findet im Orchester statt, und dafür ist dieses sichtbar hochgezogen als Mozartorchester. Das wird dann aber erst in Winterthur zum Tragen kommen, oder wo man es dann machen kann, hier in Rousse geht es nicht.

Wir sind jetzt kurz vor der Premiere, wie laufen die Proben?
Wegen meiner Theaterdirektion in der Schweiz muss ich die Inszenierung bereits am 15. September so weit abschliessen, dass dann nach dem 3. Oktober nur noch die Endproben folgen. Die letzten musikalischen Proben können in aller Ruhe während meiner Abwesenheit stattfinden, dann kommen die technischen, die Haupt- und die Generalproben, dann wollen wir sehen wie das Publikum darauf eingeht.

Wird es?
Klar wird es, wir haben ja Mozart auf unserer Seite.

Ich wünsche Ihnen alles Gute! Danke für das Gespräch.

 

11. September 2008

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(Iwan Iwanov führte bereits ein Produktionsgespräch in Sofia über die Arbeit an der   >>>  ITALIANA IN ALGERI,  und in Rousse über die Arbeit mit   >>>  Don Pasquale,   >>>  LE  NOZZE  DI  FIGARO,  >>>   GUGLIELMO  TELL)